Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Es ist wieder Fußball-WM, Gott sei Dank!

Predigt zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2010

 

Liebe Gemeinde,

was für ein Frühsommer. Erst gewinnt Lena nach einer gefühlten Ewigkeit den Grand Prix und beendet eine jahrzehntelange Schmach, die in den drei Worten bestand: »Deutschland: Null Punkte.«

Und jetzt wieder eine Fußball-WM. Vier Jahre Warten nach dem Sommermärchen, aber nun ist es wieder so weit. Erstmals in Afrika und etwas von der totalen Begeisterung der Menschen auf diesem an so vielen Stellen gebeutelten Kontinent schwappte da schon über unsere Bildschirme bis zu uns. Ohrenbetäubender Lärm der Vuvuzelas. Vier Wochen lang wird Fußball das Leben erheblich mitbestimmen. Flaggen an Autos, angespannte KiTa-Kinder Leitartikel in allen Zeitungen. Tippspiele und Gewinnspiele überall, Fanartikel aller Art. Ijoma Mangold schreibt in der ZEIT:

"Die Arbeit wird jetzt so organisiert, dass man pünktlich zum Anpfiff vor dem Fernseher sitzt oder sich einen Platz mit guter Sicht beim Public Viewing gesichert hat. Vorher muss noch Zeit für den Getränkeeinkauf im nächsten Supermarkt sein. Während man sonst bis 20 Uhr um seinen Schreibtisch herumschleicht und kurz vor dem Gehen noch einen Stoß E-Mails verschickt, damit niemand die eigene Arbeitsplatzpräsenz übersieht, sind plötzlich alle Aufgaben bis 16 Uhr gelöst. Geht doch. (...)Während eines WM-Spiels muss man sein Handy nicht ausschalten, weil in den nächsten neunzig Minuten ohnehin niemand auf die Idee verfällt, einen anzurufen." (http://www.zeit.de/2010/24/Spitze-WM-Sparplaene)

Manche Menschen können da nur den Kopf schütteln, einige sich sogar richtig ärgern. Vor ein paar Wochen war ich bei einer Sitzung und da ging es um den nächsten Termin. Vorgeschlagen wurde einer der beiden Abende, wo die Halbfinals Anfang Juli ausgetragen werden. Ich hab dann gesagt: das geht nicht, da ist Halbfinale bei der WM, da kommt keiner. Ich hätte auch sagen können: da komme ich nicht, Das hätte aber alles nur noch schlimmer gemacht. Denn auch so brauste eine Teilnehmerin erbost auf und meinte: Das kann doch nicht wahr sein, es gibt doch wirklich wichtigeres als die Fußball-WM. Mir lag auf der Zunge zu sagen: Ja, aber nicht viel.

Merkwürdiges geschieht. Ich bekenne mich ja dazu, Fußball-Fan zu sein und halte auch die WM für das größte Sportereigniss der Welt. Daher trage ich mir immer sofort nach den Auslosungen den Spielplan in den Kalender ein. Wenn ich dann im Dezember schon mal wage zu sagen, also vielleicht ist das Wochenende im Juni nicht so günstig, ernte ich immer überraschte Blicke. Rückt der Anpfiff näher, heißt es dann: Kannst du mal in deinen Kalender schauen, ob da ein Spiel ist, du hast das doch da drin stehen...

Fußball und vor allem die Weltmeisterschaft: Spiel, Spaß, Freude, Feiern, mitfiebern, mitleiden, mitreden. In der Begeisterung dafür spricht sich für mich viel Lebenslust aus, eine scheinbare Nebensächlichkeit schlägt Völker in ihren Bann. Auch wenn es nach gelassen hat, in der Kirche sehen manche diese Begeisterung immer noch mit großer Skepsis (wenn nicht grade Ablehnung, wie eingangs geschildert). Es ist schon paradox: überall wird betont, wie wichtig Spiel, Spaß und Freude für das Wohlbefinden und die Gesundheit von uns Menschen ist, aber bitte schön, in geordneten Bahnen, nicht zu viel, und vor allem möglichst individuell. Dass Christinnen und Christen völlig unbefangen im Begeisterungstaumel einer Fußball-WM untergehen, wird mißtrauisch beäugt und von manchen kaum verstanden.

Vielleicht ist da noch so ein Rest der Erinnerung an die Erfahrungen unserer deutschen Geschichte, die ja mehrfach erlebt hat, wie das Volk in seiner Begeisterung schreckliche Dinge ausgelöst hat. Verführt vom Nationalismus und charismatischen Führern, blind für einen nüchternen Blick. Ich kann schon verstehen, dass sich manch einer angesichts eines tobenden Fußballstadions beim unberechtigen Elfmeter für die Gastmannschaft an solche Dinge erinnert fühlt.

Und dann gibt es da noch unsere sehr protestantische Tradition. Die Älteren kennen mit Sicherheit das Sprichwort: »Müßigkeit ist aller Laster Anfang.« Ein sehr evangelischer Satz. Ausruhen, Hände in den Schoß legen, das war lange Zeiit verdächtig. Arbeit war das Leben, pflichtbewußt leistetete mann und frau seinen bzw. ihren Dienst an dem Ort, an dem man sich gestellt wußte, berufen wußte. Nichts-tun, das war dagegen gefährlich. Da lauerten Laster wie Alkohol, Tanz und Vergnügungen aller Art. Unsere protestantische Tradition hat eine durchaus lustfeindliche Vergangenheit, das lässt sich in manchen Schriften bis in das letzte Jahrhundert nach vollziehen.

Gott sei Dank ist es inzwischen anders geworden. Christen und Christinnen dürfen heute auch ganz normale Menschen sein, müüssen sich nicht mehr durch eine strengere Moral von den anderen unterscheiden. Und was das heißt, sich von der Lust an einem Spiel mitreißen zu lassen, dass kann man nun gerade gut am Fußball-Spiel lernen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus heute auch mit ins Stadion gegangen wäre, oder vor dem Bildschirm mitfiebern würde, genauso wie er die Menschen bei der Hochzeit zu Kana beim Feiern unterstützte. Festen und Feiern war er nicht abgeneigt, er, den seine Gegner als Fresser und Weisäufer beschimpften. Offenbar gab es schon damals Menschen, die meinten, Religion hätte vor allem mit Askese und Nüchternheit zu tun und nichts mit Jubel, Trubel und Begeisterung.

Aber Spaß, Begeisterungsfähigkeit, Lust am Spiel gehört zu uns Menschen dazu, das können wir an den Kindern beobachten – und die sind Menschen wie wir, wenn auch kleiner. Von daher glaube ich, dass Gott uns das Spiel und auch dieses Spiel geschenkt hat und er seine Freude daran hat, wenn wir uns daran freuen.

Brot und Spiele braucht das Volk, hieß es mal früher, dann sind die Untertanen still und zufrieden. Nun, vielleicht hoffen in Berlin in diesen Tagen einige darauf, dass die Fußball-WM Gras wachsen lässt über das unsägliche Gezänke und Gezerre der politisch Verantwortlichen. Noch einmal Ijoma Mangold:

"Vielleicht hat Angela Merkel dies sehr genau bedacht, als sie ihr Sparpaket in die Woche vor dem WM-Beginn platzierte. Das richtige Timing ist ja angeblich alles in der Politik. Die Gewerkschaften wollen gegen die Sparpolitik zum Massenprotest aufrufen und die Menschen auf die Straße bringen. Aber auf den Straßen stehen schon die Fernseher mit den bunten Fähnchen obendrauf. In der schönen Ordnung der WM dürfte kein Raum mehr für andere emotionale Generalmobilisierungen sein. Hin- und hergerissen zwischen Brot und Spielen, wird sich die Menge um die Verknappung der Brotration wenig scheren, solange die Spiele nur laufen. Wenn es Deutschland über die Vorrunde schafft, hat Merkel ihr Sparpaket im Kasten. (...) Im Rücken der WM wird der Haushalt saniert."

Ich hoffe, dass sie sich irrt und das beides möglich ist, nebeneinander: sich an dieser Fußball-WM freuen und dennoch gleichzeitig nüchtern und genau darauf zu achten, was da weiter in Berlin geschieht. Brot und Spiele sind wichtig für Menschen, stimmt, aber eben beides: Brot und Spiele, nicht nur Spiele.

Nach diesem kleinen Schlenker zurück zu unserem Predigtthema: Denen, die sich am Fußball freuen, wünsche ich viel Spass. Denen, die das nicht verstehen können, die entsprechende Gelassenheit: es geht vorbei. Und so schließe ich mit den Worten, die ich für mich doppeldeutig über diese Predigt gesetzt habe: Es ist wieder Fußball-Weltmeisterschaft – Gott sei Dank!

Amen.